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Muskeln sind die Hüter unserer Gesundheit

Aktualisiert: 5. Juli 2021

Lange Zeit verstanden wir unseren Körper als hirngesteuerte Maschine. Muskeln galten als befehlsempfangende Gehilfen. Neuere, aufregende Forschungen beweisen, dass Muskeln eine Instanz mit eigener Agenda sind. Sie kommunizieren mit anderen Geweben, steuern sie direkt und wirken sogar auf das Hirn ein. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass Muskeln den Alterungsprozess des gesamten Körpers verlangsamen können. Welche ausserordentliche Rolle dabei dem Krafttraining zukommt, wird in einem neuen GEO-Artikel erläutert.


Muskeln sind die körpereigene Apotheke

«Dass Sport gesund ist und das Leben verlängert, weiss man zwar schon lange aus statistischen Erhebungen», sagt Christoph Handschin, Professor am Biozentrum der Universität Basel. «Aber mittlerweile findet man immer neue Beweise, dass der Muskel dabei eine unglaublich wichtige Rolle spielt.» Muskeln sind über Botenstoffe – sogenannte Myokine - mit vielen Geweben vernetzt. Bei oder nach Bewegung werden Myokine in die Blutbahn abgegeben und kurbeln verschiedene Prozesse im Körper an. Das Myokin «IGF-1» ist zum Beispiel in der Lage, direkt im Knochen die Zellteilung anzuregen. Damit wird Substanz im Knochen aufgebaut und Osteoporose entgegenwirkt. Über 600 Myokine wurden bisher entdeckt, welche verschiedene Abläufe im Körper steuern können. Muskeln sind unsere grösste Produktionsstätte für Botenstoffe. «Damit sie positiv wirken, dürfen wir die Quelle der Botenstoffe nicht in Ruhe lassen», ist Fabio Demontis vom St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis Tennessee, Forscher in der Kinderkrebsforschung überzeugt. Will heissen, die Muskeln müssen strapaziert werden, um eine positive Wirkungsweise der Botenstoffe zu erlangen.


Der Kölner Sportmediziner Wilhelm Bloch bezeichnet unsere Muskulatur sogar als «körpereigene Apotheke», die vor vielen Krankheiten schützt, nicht nur vor Osteoporose oder Krebs, sondern auch vor Depressionen oder Diabetes.


«Über die genauen Mechanismen rund um die Myokine weiss man noch wenig. Erst 5 Prozent der bekannten Myokine sind erforscht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass durch Krafttraining besonders viele Botenstoffe ausgeschüttet werden», sagt der Hildesheimer Sportwissenschaftler Sebastian Gehlert. Würde heissen: Je mehr Muskelmasse ein Mensch hat, desto mehr Myokine bringt sie auf den Weg.


Das Problem Muskelschwund

Die Muskulatur schwindet bereits ab dem 30. Lebensjahr, 5 Prozent verliert man alle zehn Jahre. Ab 70 beschleunigt sich der Rückbau zusätzlich. Jahrzehntelang wurde dieses Problem von Medizinern nicht als wichtig angesehen. Erst 2016 anerkannte die WHO die «Sarkopenie» (Muskelschwund) als eigenes Krankheitsbild. Werden Muskeln nicht mehr strapaziert, passiert ein Umbau und Schwund. Muskelfasern werden durch Fettgewebe ersetzt. Zudem nimmt die Anzahl der Blutgefässe ab, die Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und Muskelfasern verkümmern.


Wer nun glaubt, Muskelschwund betreffe ausschliesslich alte Menschen, muss sich mit einer unbequemen Realität vertraut machen: «Dauersitzen wie wir es stundenlangen vor dem Computer praktizieren, hat fast dieselben Effekte wie ein Langzeitaufenthalt im Bett», schreibt der Anthropologe Dan Lieberman aus Harvard in seinem Buch über die Evolution von Homo sapiens. Die gute Nachricht: Solange wir leben und uns bewegen können, ist Muskelzuwachs möglich.


Krafttraining als Schlüssel zur Aktivierung der Myokine

Lange Zeit galten Ausdauer-Workouts als Allheilmittel. Heute weiss man: Beim Training mit Gewichten erzeugen Muskeln besonders viele Myokine. Zweimal pro Woche Krafttraining mit Gewichten bremst den Muskelschwund.

Ein ausgewogenes Training, welches den gesamten Körper am besten fordert, ist möglichst vielseitig: Krafttraining und Ausdauer im Wechsel erzielten bei einer Studie der University of Illinois in Chicago die besten Ergebnisse im Vergleich zu reinem Kraft oder Ausdauertraining. Blutdruck und Zuckerwerte sanken, Fett wurde reduziert, das Herz gestärkt.



Text: Auszüge aus GEO 4/2021, «Macht der Muskeln», Jörn Auf Dem Kampe, S. 30-44.







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